Babler, Hanke, Gaál: „Serielle Sanierung für großvolumige Gebäude – hochwertig, rasch und leistbar“

Ein Großforschungsprojekt demonstriert im 3. Wiener Gemeindebezirk ein beispielgebendes Sanierungssystem.

In der Arenberggasse 4 in Wien-Landstraße wird aktuell ein Pilotprojekt zur energetischen Sanierung umgesetzt. Im November werden am Wohnhaus der SOZIALBAU AG vorgefertigte Fassadenmodule mit integrierter Bauteilaktivierung zur Heizung und Kühlung der Fassade angebracht. Aufgrund des hohen Vorfertigungsgrades nehmen die Montagearbeiten nur wenige Tage in Anspruch. Die serielle Sanierung gilt aufgrund der deutlich beschleunigten Umsetzungszeit und nachhaltigen Energiekosteneinsparung als zukunftsweisende Sanierungsmethode und genießt daher hohe Aufmerksamkeit in der Fachwelt und Wohnungswirtschaft. Am Mittwoch, den 12. November, machten sich Vizekanzler und Wohnminister Andreas Babler, Innovationsminister Peter Hanke und Wiens Vizebürgermeisterin und Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál ein Bild von dem Sanierungsprojekt.

Was steckt hinter der neuen Methode zur Sanierung von großvolumigen Bestandsgebäuden?

Das Großforschungsprojekt RENVELOPE wurde 2023 im Rahmen des Programms „Vorzeigeregion Energie (Green Energy Lab)“ des Klima- und Energiefonds gestartet und biegt nun in die Zielgerade. Das Ziel, des unter der Leitung der steirischen Forschungseinrichtung AEE – Institut für nachhaltige Technologien (AEE INTEC) stehenden Leitprojektes, war die Entwicklung von modularen Vorhangfassaden in Vorfertigung, die neben bautechnischen Strukturen (Tragkonstruktion, Wärmedämmung, Fenster, etc.) auch gebäudetechnische Elemente (Photovoltaik, Wärmepumpen, Lüftungssysteme, Abgabesysteme für Heizung und Kühlung, Beschattung, Steigstränge, etc.) beinhalten können.

„Die Erneuerung von bestehenden Gebäuden ermöglicht eine unmittelbare Senkung der Energiekosten für die Bewohnerinnen und Bewohner. Das trägt erheblich dazu bei, dass die Leistbarkeit von Wohnraum auch in Zukunft sichergestellt bleibt. Denn nicht nur bei den Immobilien selbst wurde im letzten Jahrzehnt viel zu viel spekuliert, auch bei den Heizkosten waren die Bewohnerinnen und Bewohner den Verwerfungen auf den Energiemärkten viel zu lange ausgeliefert. Wenn man den Energiebedarf, wie hier bei der Arenberggasse, um 80 % senken kann und die Versorgung durch vor Ort erzeugter erneuerbarer Energie sicherstellt, führt das automatisch zu geringerer Abhängigkeit von den Energiemärkten und zu mehr finanzieller Sicherheit für die Bewohnerinnen und Bewohner. Da Österreich in großem Umfang bereits gebaut ist, kommt der Erneuerung von Bestandsgebäuden hier eine Schlüsselrolle zu. Die ‚Serielle Sanierung‘, bei der die Fassadenelemente in großem Stil industriell vorproduziert werden, kann hier rasch entscheidende Beiträge leisten“, erklärt Vizekanzler und Wohnminister Andreas Babler

Um flexibel auf die jeweils gebäudespezifischen Erfordernisse und Ausstattungswünsche reagieren zu können, wurde vom Projektteam (siebzehn Projektpartner aus Forschung, Immobilienwirtschaft, Architektur, Bau, Gebäudetechnik sowie Holzbau und Automatisierung) ein aus unterschiedlichen Elementen bestehendes Modulsystem entwickelt. 

„Der Gebäudesektor ist in Österreich nicht nur einer der großen CO2-Verursacher, sondern gleichzeitig auch ein enormer Wirtschaftsfaktor. Forschung und Entwicklung sind wichtige Triebfedern für die Energiewende und die Dekarbonisierung der Raumwärme. Jedem technischen Meilenstein – vom Passivhaus bis hin zu den klimaneutralen Quartieren, die sich zu 100 % mit erneuerbarer Energie versorgen sollen – ging Forschung und Entwicklung voraus. Das Forschungsprojekt RENVELOPE ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie ein bewohntes Gebäude durch innovative Lösungen innerhalb kurzer Zeit aus dem fossilen Zeitalter geholt werden kann. Dadurch entsteht eine Win-Win-Situation für alle: Die Umwelt, die Wirtschaft und die Mieterinnen und Mieter“, so Innovationsminister Peter Hanke.

Die einzelnen Module werden im Werk vorgefertigt und vor Ort, vergleichbar mit einem großen Puzzle, mit einem Kran zu einer vollständigen Fassade zusammengefügt. Der große Vorteil dieser neuen Methode ist, dass eine komplette thermische und energetische Sanierung eines großvolumigen Gebäudes minimalinvasiv, im vollständig bewohnten Zustand, ohne Schmutz und ohne Lärm in wenigen Tagen abgeschlossen werden kann. In der aktuellen, abschließenden Projektphase von RENVELOPE wird diese Sanierungsmethode an drei großvolumigen Bestandsgebäuden erprobt. Nach der erfolgreichen Anwendung des Modulsystems im Zuge der Erneuerung der Landesberufsschule Knittelfeld, Steiermark, ist aktuell der Geschoßwohnbau in der Arenberggasse an der Reihe, bevor die erste Umsetzungsserie durch ein drittes Bestandsgebäude, ein Studentenwohnheim in Graz, abgeschlossen wird. Um für die weitere Ausrollung des Systems maximal zu lernen, begleitet das RENVELOPE-Projektteam messtechnisch alle drei Demogebäude über eine Winter- und Sommerperiode.

„Höchste Wohnqualität, leistbare Mieten und führende Innovationskraft – dafür ist das Wiener Wohnbaumodell weit über die Grenzen Österreichs als Vorbild bekannt. Mit 220.000 Gemeindewohnungen und zusätzlichen 200.000 geförderten Wohnungen trägt die Stadt für das zu Hause von rund zwei Drittel der Wiener*innen Sorge. Das sind enorme Zahlen, die sich durch die laufenden Neubauprogramme ständig vergrößern. Dabei darf man aber nicht auf die Wohnqualität der Zukunft von bestehenden Gebäuden vergessen. Nachhaltige Sanierung und eine erneuerbare Energieversorgung sind die Zukunftsthemen für den Wohnkomfort kommender Generationen. Durch eine starke Landesförderung kann Wien Innovationsprojekte, wie die ‚Serielle Sanierung‘ in der Arenberggasse, Realität werden lassen und damit den kompletten Wohn+ und Bausektor unterstützen“, erklärt Vizebürgermeisterin und Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál

Die konkreten Sanierungsmaßnahmen im Bestandswohnbau in der Arenberggasse 

Das Gebäude gehört mit seinen 24 Mietwohnungen zum Immobilienportfolio der Wiener Sozialbau AG, wurde 1977 als sechsgeschossiger Wohnbau errichtet, und entspricht in Architektur, Typologie und Bauweise einem Großteil des österreichischen Bestandes an Mehrgeschoß-Wohnbauten. Der Heizwärmebedarf des Gebäudes wies ein „C“ in der Energieeffizienzklasse aus und die Wärmeversorgung erfolgte über dezentrale Gasthermen in den 24 Wohnungen. 

Im Zuge der aktuell laufenden Erneuerung der Gebäudehülle und der Gebäudetechnik werden insgesamt 60 vorgefertigte Vorhangmodule montiert. Diese Module wurden in den letzten Wochen im Werk des beauftragten Holzverarbeitungsunternehmens vorgefertigt und dabei mit 16 cm Wärmedämmung plus ca. 6 cm Ausgleichsdämmung ausgestattet. In den Modulen wurden Steigstränge für die Gebäudetechnik integriert sowie auch ein Wärmeabgabesystem für Beheizung und moderate Kühlung in Vorfertigung angebracht, das im Montageverfahren automatisch an die Bestandswand gepresst wird. Die Wohnungen in der Arenberggasse werden in Zukunft also von außen über die Bestandswand beheizt und im Sommerbetrieb von außen moderat gekühlt. 
Die flächige Anordnung des Abgabesystems erlaubt ähnlich wie bei einer Wandheizung geringe Vorlauftemperaturen und hohen Nutzungskomfort. 

Das Bestandsmauerwerk kann dabei als Wärmespeicher genutzt werden und dient in Verbindung mit einer zentralen Sole-Wasser-Wärmepumpe (7,6 kW) im Keller und zwei weiteren Luft-Wasser-Wärmepumpen am Dach (2 x 12,8 kW) als Flexibilitätselement zur prioritären Nutzung des vor Ort aus einer Photovoltaikanlage (10,6 kWp) generierten Stroms. Die Wärmequelle für den Betrieb der zentralen Wärmepumpe bilden zwei Erdsonden, angeordnet im Innenhof des Gebäudes. Zusätzlich zur Vorhangfassade sowie zur Photovoltaik- und Wärmepumpenanlage erfolgten noch Dämmmaßnahmen an der obersten Geschoßdecke sowie im Kellergeschoß – beide mit integrierter Bauteilaktivierung. Die gesamte Sanierung erfolgt im laufenden Betrieb, ohne Umsiedelung der Bewohner*innen.

Bernd Vogl, Geschäftsführer Klima- und Energiefonds: „Unsere Förderprogramme schaffen gezielt die besten Bedingungen, damit Innovationen schnell entstehen können. Wir sehen immer wieder: Wenn Innovationsförderung direkt mit Investitionsförderung verbunden wird, dann lassen sich Projekte deutlich schneller umsetzen. Gerade in mittleren Technologiereifestufen, wo Ideen vom Labor zu marktfähigen Lösungen gebracht werden, hilft diese Kombination, Risiken abzufedern. Projekte wie RENVELOPE zeigen, dass Österreich mit dieser einzigartigen Strategie Vorzeigeprojekte schaffen kann, die großes Multiplikations- und Skalierungspotenzial haben.“

Insgesamt soll durch diese Methode der Gebäudeerneuerung der Wärmebedarf in der Arenberggasse um bis zu 80 % reduziert werden, was direkt dazu führt, dass die Energiekosten der Bewohner*innen zu einem großen Teil von den Energiemarktpreisen entkoppelt werden und somit langfristig berechenbar sowie leistbar bleiben. Auch die volkswirtschaftlichen Vorteile liegen auf der Hand, nämlich eine CO2-Einsparung von jährlich rund 100 Tonnen, eine Reduktion des Wertschöpfungsabflusses in Folge des Ausstiegs aus fossilem Gas, eine Forcierung des regionalen Handwerks sowie eine nachhaltige Wertsicherung des Gebäudebestandes.

„Der zentrale Vorteil der Methode ‚Sanierung in Serie‘ liegt in der Geschwindigkeit der gesamten Projektumsetzung. Die Planungsphase benötigt aufgrund der Detailintensität etwas mehr Zeit, aber die Umsetzung vor Ort ist in nur acht Tagen erledigt und ist minimalinvasiv. Das bedeutet, keine Aussiedelung von Bewohner*innen, weniger Lärm, weniger Staub sowie so gut wie keinen Müll auf der Baustelle. Im Vergleich zu einer konventionellen Fassadensanierung mit Wärmedämmverbundsystem liegen die Kosten derzeit noch über einer konventionellen Sanierung. Diese Mehrkosten stehen jedoch in einem klaren Verhältnis zu den zusätzlichen Qualitäten: durch die Integration der Gebäudetechnik, die Möglichkeit zur sommerlichen Kühlung, den deutlich reduzierten Energieverbrauch und die längeren Erneuerungszyklen entsteht ein messbarer Mehrwert – ökologisch, wirtschaftlich und sozial. Wir sehen in der seriellen Sanierung ein zukunftsweisendes Instrument, um Sanierungen im großvolumigen Wohnbau zu beschleunigen, Komfort und Energieeffizienz zu steigern und so einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele zu leisten“, so Daniela Huber, Hauptabteilungsleiter-Stellvertreterin und Projektleiterin Energie & Innovation Projektverantwortliche Sozialbau AG
Christoph Brunner, Geschäftsführer AEE INTEC: „Das Prinzip der ‚Erneuerung von Bestandgebäuden in Serie‘ eignet sich insbesondere bei großvolumigen Gebäuden mit einfach strukturierten Fassadenoberflächen. Eine im Projekt RENVELOPE durchgeführte Studie zum Potenzial der ‚Sanierung von Bestandsgebäuden in Serie‛ kam zum Ergebnis, dass rund 70.000 Gebäude alleine in Österreich für diese Methode geeignet wären. Um dieses Potenzial und auch den Exportsektor rasch zu erschließen, muss noch an mehreren Schrauben gedreht werden. Wichtig wäre insbesondere ein Schulterschluss zwischen Industrie, Politik und Forschung, um konkrete Zielsetzungen und Maßnahmen für ein umfangreiches ‚Roll‑out‛ festzulegen. Als notwendige Maßnahmen werden heute z.B. die Steigerung des Automatisierungsgrades in der Modulherstellung, die Standardisierung und vollständige Digitalisierung des gesamten Prozesses (Digitaler Zwilling), Förderanreize sowie auch entsprechende Begleitmaßnahmen gesehen.“ 

Wie geht es weiter?

Nach der erfolgreichen Umsetzung des Demonstrators in Wien startet aktuell bereits das dritte Demonstrationsvorhaben, nämlich die „Serielle Sanierung eines Studentenwohnheims“, konkret in der Grünen Gasse in Graz; Damit zeigt sich, wie vielseitig und flexibel die im Projekt RENVELOPE entwickelten Modultechnologien und Prozesse einsetzbar sind – vom sozialen Wohnbau über Bildungseinrichtungen bis hin zu Heimstätten für Studierende.

Ziel ist es, die gewonnenen technischen und organisatorischen Erkenntnisse aus allen drei Demonstratoren für die gezielte Erreichung der nächsten Stufe auf dem Weg in einen breiten Markteintritt zu nutzen und die Methode breit zu skalieren. Gemeinsam mit Bauträgern, Industriepartnern und der öffentlichen Hand sollen die Grundlagen geschaffen werden, um „Serielle Sanierung“ als Standardlösung für den Gebäudebestand in Österreich zu etablieren.

Besonders positiv kann gesehen werden, dass im Sog des Forschungsprojektes RENVELOPE bereits jetzt einige „Erneuerungen von Bestandsgebäuden in Serie“ umgesetzt wurden (z.B. HTL Steyr) bzw. das Projektkonsortium über rund zehn geplante Umsetzungen Bescheid weiß bzw. teilweise auch involviert ist.